Bingo-Hauptstadt Berlin
Bingo ist nur was für Rentner und Liebhaber von Kaffeefahrten? Von wegen. Das aus Amerika stammende Spiel mit den Zahlen hat schon lange sein muffiges Gewand abgelegt und ist in Berlin auch unter jungen Leuten zum Kult geworden. Rock’n’Roll- und Travestievarianten haben dafür gesorgt, dass die Hauptstadt längst zur deutschen Bingo-Hauptstadt avanciert.
Im SO36 im Stadtteil Kreuzberg heißt es schon seit Ewigkeiten an jedem zweiten Dienstag im Monat: Bingo. Dann steigt in dem Travestie-Club an der Oranienstraße das Kiezbingo. Drin herrscht dann stets ein feucht-fröhlicher Atmosphäremix aus Las Vegas, Faschingsparty und Oktoberfest, die Besucher sitzen dichtgedrängt auf Bierbänken und lauschen gespannt der Ziehung der Zahlen. Moderiert wird die Sause von Inge Borg und Gisela Sommer, musikalisch untermalt wird der Abend von der Wild Flamingo Bingo Band.
Das SO36-Kiezbingo ist Kult in Berlin, das gab es schon lange, bevor 2002 am schicken Potsdamer Platz die erste Bingohalle Deutschlands eröffnet wurde – die es inzwischen schon gar nicht mehr gibt, weil die Zielgruppe – natürlich Senioren, die mit Kaffee und Kuchen gelockt werden sollten – das Angebot einfach nicht annehmen wollte. Mittlerweile sind es vor allem die Jungen, die Bingo spielen, und das SO36 ist mit seiner Party ganz vorn dabei in der Hauptstadt-Bingo-Szene. Gespielt wird Bingo hier nach dem amerikanischen System, die gezogenen Kugeln müssen ein vorgegebenes Muster auf dem Bingoschein ergeben. Wer als Erster das „Super Sexy Bingo“ hat, muss auf die Bühne zum Interview mit den beiden „Moderatorinnen“ – zwei Transvestiten, die dafür sorgen, dass die Gewinner bei all ihrer Freude über ihr Bingo-Glück in aller Regelmäßigkeit vor Scham rot anlaufen. Im Gegenzug gibt es dann tolle Gewinne, die von den Läden aus der Nachbarschaft gestiftet wurden – mal Kaffee, mal ein Gutschein und auch durchaus schon mal eine Federboa.
Der Alternativclub in Kreuzberg ist aber nicht die einzige angesagte Bingo-Adresse in Berlin. Im White Trash Fast Food Restaurant am Flutgraben steigt in gewisser Regelmäßigkeit die Rockervariante des Seniorenklassikers – betitelt als Rock’n’Roll-Bingo. Statt Nummern stehen Bands wie die Foo Fighters, die White Stripes oder 30 Seconds to Mars auf dem Bingozettel, statt Zahlenkugeln aus der Lostrommel gibt es Musiktitel von einer Liveband, die es dann zu erraten und den Bands auf dem Zettel zuzuordnen gilt. Wer als Erster eine Reihe voll hat, ist der Rock’n’Roll-Bingokönig.
Ausgedacht hat sich das Ganze diesmal kein Berliner, sondern ein Engländer. Jack Wharton, der vor Jahren aus London in die Partystadt Berlin zog und sich dort mit anderen Engländern zusammentat, um eine Band zu gründen, brachte die Idee ins White Trash Fast Food Restaurant – wo sie wie eine Bombe einschlug.
Auf der Bingo-Erfolgswelle reiten inzwischen jede Menge andere Gruppen mit, in praktisch jedem Stadtteil gibt es regelmäßige Bingo-Events, die sich an Zahlenspieler jeden Alters richten. Zudem haben viele Kneipen und Bars gemerkt, dass die Bingo-Fanszene riesengroß ist und sich so neue Kunden gewinnen lassen. Bei der Awo steht das Lottospiel regelmäßig auf dem Programm, im Einkaufszentrum Berliner Freiheit kann mehrmals jährlich jedermann mitspielen. Pro Runde wird ein 50-Euro-Gutschein für Geschäfte des Einkaufszentrums verlost, zudem erhält jeder Teilnehmer eine kleine Überraschung. Eine Teilnahmegebühr gibt es nicht.
Aber auch dort, wo man fürs Bingospielen bezahlen muss, können sich selbst die Verlierer freuen. Im SO36 tun sie nämlich in jedem Fall etwas Gutes. Die Bingospielscheine erhält man gegen eine Spende, die einem sozialen Projekt aus dem Kiez zugutekommt.
Ein Tipp noch für alle, die mitspielen wollen: Bei allen Bingopartys sollte man rechtzeitig aufschlagen: Der Ansturm ist fast überall groß, und irgendwann sind die Plätze eben besetzt.
Berlin ist zu weit? Dann spiele Bingo doch einfach online, zum Beispiel bei Games.com.
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